Pro Femina verändert ihre Strategie: ein Erfolg feministischer Kampagnen?
Bis vor wenigen Jahren sahen die Suchergebnisse zu Begriffen wie „Abtreibung“ und „Abtreibungspille“ in Deutschland aus feministischer Sicht düster aus. Webseiten von christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegner:innen belegten bei diesen suchvolumenstarken Begriffen die ersten Plätze. Erfolgreich war in dieser Hinsicht lange Zeit der Verein Pro Femina. Aufgrund der Debatte um § 219a und feministischer Kampagnen haben sich die Suchergebnisse mittlerweile jedoch verändert, sodass Pro Femina ihre Strategie anpassen musste. Was genau passiert ist und wie diese neue Strategie nun aussieht, schauen wir uns in diesem Blogpost genauer an.
Täuschung mit Strategie
Durchschnittlich suchen Menschen in Deutschland jeden Monat über 32.000 Mal den Begriff „Abtreibung“ (Quelle: ahrefs.com). Nimmt man nun an, wie es Studien zeigen, dass durchschnittlich 31% der Suchenden auf das erste Ergebnis in der Liste klicken , kann man sich ausrechnen, welche enorme Reichweite eine Webseite durch eine gute Suchplatzierung entfalten kann. Es ist auf der ersten Seite der Suchergebnisse fast immer mindestens eine Webseite von Abtreibungsgegner:innen dabei, mitunter auch zwei. Dazu gehört zum Beispiel abtreibung.de, aber auch Pro Femina war lange Zeit an prominenter Stelle vertreten.
Auf der Webseite von Pro Femina finden sich zahlreiche ausführliche Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Was zunächst wie ein Widerspruch wirkt – schließlich wollen Abtreibungsgegner:innen Schwangerschaftsabbrüche verhindern, nicht praktische Informationen zu Methoden und rechtlichen Regelungen an die Hand geben – hat jedoch Strategie: Es ist zu vermuten, dass die meisten Menschen, die diese Suchbegriffe googeln, (ungewollt) schwanger sind und sich über die Option eines Schwangerschaftsabbruch informieren wollen. Dadurch, dass der Google-Algorithmus nur Webseiten anzeigt, die diese Suchintention erfüllen, also tatsächlich die gesuchten Informationen bereit stellen, müssen die christlich-fundamentalistischen Webseiten ebendiese Informationen bieten. Befindet sich die Zielgruppe dann erstmal auf der Webseite, sollen sie möglichst schnell in direkten Kontakt mit Pro Femina treten. Dafür bewerben sie eine Telefon-Hotline, E-Mail-Beratung und ihre Beratungsstellen vor Ort sehr prominent.
In der direkten „Beratung“ werden Schwangere dann unter Druck gesetzt und dazu bewegt, die Schwangerschaft auszutragen. Dabei verschwieg Pro Femina lange Zeit gezielt, dass sie keine neutrale Beratungsstelle sind und keine Beratungsscheine ausstellen, mutmaßlich in der Hoffnung, dass in der Zwischenzeit die Frist verstreicht, in der in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch straffrei möglich ist.
§ 219a bereitet christlich-fundamentalistischen Webseiten die Angriffsfläche für ihre Google-Strategie Der Zugang zu verlässlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche ist in Deutschland eingeschränkt, weil Ärzt:innen nicht umfassend darüber informieren dürfen, obwohl sie über die entsprechende Expertise verfügen. In den Suchergebnissen zeigt sich dies beispielsweise darin, dass die Webseiten von Ärzt:innen und Kliniken gänzlich fehlen. Laut den Google-Qualitätsrichtlinien sollen medizinische Informationen auf Webseiten ärztlich geprüft sein, damit sie in die Suchergebnisse aufgenommen werden. In Deutschland darf eine Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt oder auch nur für ein Krankenhaus arbeitet, welches Abbrüche anbietet, aber noch nicht einmal einen Gastbeitrag auf einer anderen Webseite zu dem Thema schreiben. Die rechtliche Situation in Deutschland widerspricht allen in anderen Ländern angewandten Standards, wem zugetraut wird, vertrauenswürdig über ein medizinisches Thema zu informieren.
Dies hat sich auch nach der Reform von § 219a nicht geändert, weil es für den Google-Algorithmus nicht reicht, wenn auf einer Webseite lediglich ein Hinweis steht, dass in dieser Praxis Abbrüche durchgeführt werden. Für eine gute Suchplatzierung müssten dort ausführliche Informationen zu Methoden, Risiken und Zugangsmöglichkeiten stehen, jedoch werden nach wie vor Ärzt:innen dafür verurteilt, dass sie über Schwangerschaftsabbrüche informieren (im Fall einer Berliner Ärztin reichte die bloße Formulierung „auch ein „medikamentöser, narkosefreier“ Abbruch gehört zu den Leistungen“ für eine Verurteilung auf Basis von § 219a). Diese Situation liefert christlich-fundamentalistischen Webseiten überhaupt erst ein Einfallstor für ihre Google-Strategie. Sie haben schlicht und einfach weniger Konkurrenz.
Neuere Entwicklungen bringen Pro Feminas Strategie ins Wanken
Angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren konnte Pro Femina ihre Täuschungsstrategie jedoch nicht mehr länger aufrecht erhalten. Dies hat verschiedene Gründe:
Die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel auf Grundlage von § 219a im Jahr 2017 hat eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst, die sich auch in den Suchergebnissen widerspiegelte. § 219a verbietet Ärzt*innen, über Schwangerschaftsabbrüche umfassend zu informieren. Als Reaktion auf die Verurteilung gelang es feministischen Aktivist*innen wie z.B. der Kampagne #wegmit219a und #wegmit218 des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung , eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit für das Thema zu erzeugen.
Damit veränderten sich die Daten, die in den Google-Algorithmus einflossen. Beispielsweise verlinkten mehr Webseiten als zuvor die österreichische Webseite abtreibung.at, auf der es die einzige öffentlich zugängliche Liste mit deutschen Abtreibungsärzt:innen gibt. Durch diesen Zuwachs an Backlinks rutschte die Seite zeitweise in den Suchergebnissen auf die vordersten Plätze.
Gleichzeitig begannen einige große Webseiten, die dies vorher nicht getan hatten, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche online zu stellen. Dazu gehörten die Webseiten von Krankenkassen, denen Google vermutlich ähnlich wie Ärzt:innen eine hohe „Autorität“ im medizinischen Bereich zuweist.
Pro Femina rutschte so nach und nach in den Suchergebnissen nach unten. Sie sind für wichtige Suchbegriffe wie „Abtreibungspille“ und „Abtreibung Kosten“ immer noch auf der ersten Seite vertreten, aber auf Platz 5 und nicht mehr auf Platz 1 und 2. Bei dem suchvolumenstarken Suchbegriff „Abtreibung“ sind sie mittlerweile ganz aus den Suchergebnissen verschwunden, während abtreibung.de leider ihre Position halten konnte. Gleichzeitig regte sich zunehmend der Protest spezifisch gegen den Verein. Eine Buzzfeed-Investigativrecherche von Juliane Löffler problematisierte die manipulativen Beratungsmethoden. Proteste gab es danach unter anderem in Berlin, wo das #Whatthefuck-Bündnis eine Kundgebung gegen die Eröffnung einer Pro Femina-Filiale am Kurfürstendamm organisierte. Der Landesparteitag der Berliner SPD nahm am 26. Oktober 2019 eine Beschlussvorlage an, mit der die Delegierten den Berliner Senat aufforderten, die Einrichtungen von Pro Femina in Berlin zu schließen.
Aufgrund dieses politischen Drucks musste Pro Femina erstmals einen Hinweis auf ihre Webseite stellen, der darüber aufklärte, dass sie keine Beratungsscheine ausstellen. Der Hinweis befand sich zwar lediglich im Impressum, welches die wenigsten lesen; dennoch zeigte diese Reaktion, dass die Proteste einen Effekt hatten.
Auswirkungen auf Pro Feminas Erfolgsquote
Es ist schwierig, genau zu beziffern, wie viel Reichweite und Kontakt zu Schwangeren Pro Femina durch die Ranking-Verluste einbußen mussten. Es ist aber anzunehmen, dass die Auswirkungen enorm waren, weil Google ihre zentrale Marketingstrategie ist. Ein Indikator sind die Zahlen, die Pro Femina selbst in ihren Jahresberichten veröffentlicht. Demnach verzeichneten sie 2017 etwas über 3,4 Millionen Euro an Spendeneinnahmen, von denen sie über 148.500 Euro für Öffentlichkeitsarbeit ausgaben. Darunter dürfte auch SEO fallen. Ein Jahr später, als die Debatte um § 219a in vollem Gange war, stiegen alle Vereinsausgaben an, die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit jedoch mit über 236.000 Euro (eine Erhöhung von 58% im Vergleich zum Vorjahr) am stärksten. 2019 stiegen die Ausgaben noch einmal an, sodass der Verein trotz eines Anstiegs des Spendenvolumens ein Minus von 80.000 Euro erwirtschaftete. Passenderweise ist der Jahresbericht von 2019 auf der Webseite von 1000Plus, der anderen Internetpräsenz von Pro Femina, erst weiter unten auf der Seite zu finden. Ganz oben verlinkt ist immer noch der Jahresbericht von 2018.
In Bezug auf die Zahl der Menschen, die Pro Femina „beraten“ hat, geben sie nur im Jahresbericht 2018 eine Zahl an. Dort heißt es, sie haben innerhalb eines Jahres 10.000 Schwangere beraten. Der Jahresbericht 2019 enthält keine Zahlen außer den Finanzen – der Grund dafür lässt sich nur mutmaßen, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass die Ranking-Verluste zu einem deutlichen Rückgang der Beratungszahlen geführt haben dürfen, sodass sie aus Image-Gründen die neueren Zahlen nicht veröffentlichen. Der aktuellste Jahresbericht für das Jahr 2020 ist mit Stand Juli 2021 noch nicht öffentlich.
Kehrtwende mit neuem Plan
Angesichts der Veränderungen musste Pro Femina gezwungermaßen ihre Strategie anpassen. Deutlich wird das daran, wie sie ihre Webseite mittlerweile verändert haben. Ihr zentraler Slogan lautet nun „Wir beraten dich – du entscheidest!“. Damit greifen sie die Sprache von feministischen Pro-Choice-Kampagnen auf, die reproduktive Gerechtigkeit als Freiheit eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, auffassen. Anfangs stellte Pro Femina ungewollt schwangere Menschen noch als hilflose Objekte dar, die aufgrund ihres Uterus von Natur aus ihre einzige Erfüllung im Mutter-sein finden wollen, aber aufgrund ihrer äußeren Umstände daran gehindert werden. Der Verein sah dann seine Rolle darin, diese Menschen aus ihren Umständen zu befreien. Nun reagieren sie offensichtlich auf eine gesellschaftliche Debatte, in der diese Argumentation immer weniger Anklang findet, und eignen sich Pro-Choice-Begriffe an. In ihrer jetzigen Darstellung ist eine „wirklich selbstbestimmte“ Entscheidung nur dann möglich, wenn Schwangere umfassend informiert sind. Und diese Informationen will Pro Femina liefern.
Um sich in dieser neuen Darstellung als vertrauenswürdig zu inszenieren, haben sie zum Beispiel die Informationen zu den Risiken von Schwangerschaftsabbrüchen angepasst. Wo vorher noch ausschließlich negative gesundheitliche Auswirkungen aufgelistet waren, allesamt ohne Quellen und nachweislich falsch, ist nun zu lesen, dass viele nach einem Abbruch Erleichterung verspüren und normal weiterleben. Falschinformationen, wie dass ein Abbruch langfristige psychische Störungen wie Depressionen, Süchte und Post-Traumatische Belastungsstörungen hervorrufen könne, verbreitet die Seite jedoch weiterhin. Besonders perfide ist die Aussage, viele trügen die seelische Belastung durch einen Abbruch jahrelang unbewusst „in ihrem Inneren verborgen“ mit sich herum, sodass sie erst viel später in eine psychische Krise geraten würden. Damit wird Menschen, die ihren Schwangerschaftsabbruch als eine gute Entscheidung begreifen und keinerlei negative Folgen zu berichten haben, die Glaubwürdigkeit aberkannt und suggeriert, auch sie würden über kurz oder lang noch psychische Störungen oder gar seelische Zusammenbrüche entwickeln.
Dass Pro Femina ihre Täuschungsstrategie verändert, aber nicht aufgegeben hat, ist auch an ihrem Forum zu erkennen. Das Forum auf der Webseite bietet die Möglichkeit, sich anzumelden und Beiträge zu schreiben, meist über die eigene Situation und Entscheidung für oder gegen einen Abbruch. Viele berichten dort von ihren Erfahrungen und fragen um Rat. Auffällig ist jedoch, wie viele Antworten einzelne Beiträge bekommen und wie engagiert die Online-Community einzelne Fälle verfolgt. Die Autor:innen werden von einzelnen besonders engagierten Mitgliedern stets aufgefordert sich wieder zu melden, neue Updates zu ihren Gedanken und ihrer Situation zu schreiben, und meldet sich nach einiger Zeit niemand zurück, wiederholen sie die Aufforderung nach einem Update teilweise mehrmals. Wer die E-Mail-Beratung von Pro Femina in Anspruch nimmt und nach der ersten E-Mail nicht mehr reagiert, bekommt von Pro Femina ebenfalls mehrere E-Mails hintereinander, die nach dem aktuellen Stand fragen und auf einer Kontaktaufnahme regelrecht bestehen. Die Parallele mit dem Forum ist auffällig.
Ein genauerer Blick auf diejenigen Mitglieder, die besonders daran interessiert sind, dass die Autor:innen in stetigem Kontakt bleiben, zeigt, dass es sich dabei vermutlich um einige wenige Personen handelt, die unter verschiedenen Namen schreiben. Diese Vermutung baut darauf, dass verschiedene Personen zum Teil die gleichen standardisierten Antworten geben und die gleichen Formulierungen verwenden (spezifische Formulierungen wie z.B. „darf ich mich einmal gedanklich zu dir setzen?“). Diese Beiträge sind außerdem davon gekennzeichnet, dass sie sehr viele Fragen stellen und die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch als etwas existentiell Schwieriges darstellen. Erst wenn eine Person alle der zahlreichen Fragen mit 100%iger Sicherheit beantworten kann und sich genug Zeit gelassen hat, um „in sich hinein zu spüren“, kann sie überhaupt erst eine Entscheidung treffen. Zweifel werden gezielt verstärkt und (falls jemand keine Zweifel äußert) überhaupt erst neu ins Spiel gebracht. Argumente gegen einen Abbruch werden demgegenüber positiv aufgefasst und immer wieder wiederholt. Diese Methoden sind manipulativ, insbesondere wenn es stimmt, dass Mitarbeitende von Pro Femina verdeckt unter verschiedenen Namen im Forum posten. Dadurch kann schnell der Eindruck entstehen, eine „Mehrheit“ an Mitgliedern spricht für die Schwangerschaft und gegen den Abbruch.
Thematisch hat sich Pro Femina nun breiter aufgestellt. Neben Informationen zu Schwangerschaftsabbruch sind sie auf weitere Themen rund um Schwangerschaft und Geburt ausgewichen und optimieren entsprechend auf ein weiteres Feld an Suchbegriffen. Diese Themenerweiterung kann vermutlich als Reaktion auf Ranking-Verluste in ihren Kernthemen verstanden werden.
Ausblick
Welches Fazit lässt sich aus der Strategieänderung bei Pro Femina ziehen? Zum einen können die Entwicklungen als Erfolg feministischer Kampagnen gesehen werden. Der öffentliche Druck hat dazu geführt, dass der Verein empfindliche Ranking-Verluste verzeichnet und seine Täuschungsstrategie anpassen musste. Zum anderen zeigen die Entwicklungen, dass christlich-fundamentalistische Akteur:innen feministische Sprache und Argumente aufgreifen und in ihre Agenda einfügen können. Die Täuschung wird dadurch weniger offensichtlich, ist jedoch immer noch vorhanden.
Es gilt jetzt, den Druck aufrecht zu erhalten. Je mehr Menschen wissen, dass Pro Femina keine vertrauenswürdige Adresse für ergebnisoffene Beratung ist, desto weniger Zugang haben sie zu ihrer Zielgruppe. Gleichzeitig ist klar, dass Pro Femina weiterhin eine Angriffsfläche haben wird, solange Schwangerschaftsabbrüche und die umfassende Information darüber kriminalisiert werden. Der genauere Blick auf die letzten Jahre feministischer Organisierung innerhalb des gegebenen gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmens zeigt jedoch, dass Pro Femina auch jetzt wirksam entgegen getreten werden kann.